Kulturgespräch mit 100 Kila

Yavor Yanakiev (36), bekannt unter dem Pseudonym 100 Kila („Kila“ ist das bulgarische Wort für „Kilogramm“, Anm. d. Red.), ist ein Rapper und Musikproduzent aus Warna, Bulgarien. Seit 15 Jahren steht er bereits auf der Bühne und ist heute eines der bekanntesten Gesichter der Hip-Hop-Kultur in seinem Heimatland.

Der Besuch von 100 Kila am 2. November in Köln hat einen bleibenden Eindruck bei seinen Fans in Deutschland hinterlassen. Kurz vor seinem Konzert im Club E-Feld hat unser Team den Interpreten getroffen und mit ihm über seine größten Ängste und tiefsten Gedanken gesprochen – über die soziokulturellen Probleme in unserer Gesellschaft, über seinen Schulabschluss, den er gerade nachholt, und sogar über seine Theorie von einer möglichen Landung Außerirdischer auf unserem Planeten.

Hier ist unser exklusives Interview mit 100 Kila:

Wie oft hast du Auftritte im Ausland? Wo hat es dir am meisten gefallen?
Ehrlich gesagt, bin ich selten im Ausland, da dies viel zu viel Zeit verlangt. Trotzdem bin ich sehr froh, wenn so etwas passiert. Bis jetzt habe ich in Österreich, Belgien, Deutschland, der Niederlande, Griechenland und den USA gesungen… Überall fühle ich mich super, da ich so meine Fans treffen kann. Das ist für mich das Wichtigste.

Worin unterscheiden sich deine Konzerte im Ausland von diesen in Bulgarien?
In der Reise an sich, in der Energie der Fans. Da ich nicht so oft im Ausland auftrete, sehen mich diese Leute nicht. Um so mehr freuen sie sich, wenn ich auf der Bühne in ihrer Stadt stehe. Das ist das, was für mich zählt. Ich bin hier, um den Fans Freude zu bringen, und wenn ich ein Lächeln in ihren Gesichtern sehe, dann ist meine Mission erfüllt.

Gibt es etwas besonders Spannendes, das dir während einer Tour passiert ist?
Die interessanten Geschichten sind unglaublich viele. Mein Kopf wird explodieren, wenn ich eine konkrete herauspicken soll… Ich war einen Monat lang in den USA, wo ich zwölf Städte innerhalb von 30 Tagen besucht habe. Da war jede Minute besonders spannend.

Ist es möglich, ein Patriot außerhalb der Heimat zu sein, und was bedeutet für dich Patriotismus heutzutage überhaupt?
Selbstverständlich ist es möglich. Die Beispiele sind unglaublich viele. Dennoch hat sich der Patriotismus in den letzten Jahren zu einem negativen Begriff entwickelt, weil viele Menschen Pseudopatrioten sind. Irgendwann kapiert man aber, dass es keinen Sinn macht, Patriot zu sein, vor allem heutzutage in Bulgarien, da die politische Situation unerträglich ist.

Ein Zitat aus deinem Buch: „Halb Bulgare, halb Rom, halb Türke, halb Ägypter, halb Jude, halb Indianer, aber stolzer Bürger der Republik Bulgarien, die ein gleichberechtigtes Mitglied der EU ist, und stolzer Bewohner unseres Planeten“. Wie tolerant ist deiner Meinung nach unsere gegenwärtige Gesellschaft?
In meiner Äußerung geht es darum, dass wir selber die kulturellen Schubladen erschaffen und dadurch unser Verhältnis anderen ethnischen Zugehörigkeiten gegenüber verschärfen. In Bulgarien schränkt sich das nur auf Bulgaren, Roma und Türken ein. Schauen wir uns aber z.B. Deutschland oder die USA an – dort gibt es mehr als 60 Nationalitäten pro 100 Quadratmeter. Und wenn du im Supermarkt bist, stehen mit dir an der Schlange noch Inder, Pakistaner, Afrikaner, Araber, Chinesen… Du musst sie respektieren und kannst nicht einfach „Wer bist du denn?“ fragen. Nein, Bruder, wir sind alle Menschen. Sobald die ersten Außerirdischen auf der Erde landen, sind wir, die Menschen, gemeinsam gegen die UFOs. Das ist meine Sichtweise auf die Problematik in der Kommunikation. Diese gesellschaftskulturellen Schubladen stören einfach. Es ist, wie wenn du die Freundschaft zu Usain Bolt ablehnst, nur weil er Afroamerikaner ist. Aber er ist der schnellste Mensch der Welt! Oder du hörst die Musik von Whitney Houston nicht, nur weil sie eine dunklere Hautfarbe hatte.

Gab es Situationen, in denen du jemanden diskriminiert hast?
Nein. Ich bin Anhänger der Hip-Hop-Kultur, die nur aus Afroamerikanern besteht. Dementsprechend kann ich einfach kein Rassist sein, wenn ich gleichzeitig etwas unterstütze, das von so unterschiedlichen Menschen kreiert wurde. Außerdem trage ich Designerklamotten von Versace, Givenchy, Armani, Dolce & Gabbana und Gucci. Das sind alles Gay-Produzenten und -Unternehmer. Ich trage ihre typischen T-Shirts, ohne mir Sorgen zu machen. Ich lasse mich nicht runterkriegen, wenn mir jemand sagt: „Deine Schuhe sind zu gay“. Solche Etiketten klingen für mich bescheuert.

Deine Musik vereinigt. Du bist „role model“, nimmst an ehrenamtlichen Initiativen teil, in deiner Musik hört man ebenso Folklorenelemente. Hat sich der „böse Junge“ in einen guten Bürger verwandelt?
Ja, ich habe mich auf jeden Fall verändert. Mir ist bewusst geworden, dass ich Einfluss auf die Jüngeren habe, denn durch meine Lieder lernen sie auch ein Teil von meiner Persönlichkeit kennen. Hinter all meinen Äußerungen, Gedanken und ehrenamtlichen Initiativen steckt eine persönliche Kultur. Meine Fans kennen meine lustige Seite, es ist mir aber wichtig, dass ich auch meine soziokulturellen Ansichten mitteile. Ich kann ja immer „Bad as I wanna be“ sein, wie Dennis Rodman mal gesagt hat (Zitat aus dem Film „Der Abräumer“, Anm. d. Red.). Genau hier liegt der schmale Grad. Denn wenn ich zu Besuch bei Freunden und Verwandten bin, schauen mich ihre neun- oder zehnjährigen Kinder mit Bewunderung an und saugen alles auf. Ich muss bei jedem Wort, jeder Phrase oder Geste aufpassen. Sie singen meine neusten Lieder und geben dabei alles, um mir zu zeigen, wie sehr sie mich mögen. Dann läuft mir durch den Kopf: „Bruder, pass ganz genau auf, was du zu den Kindern sagst, damit du keine unangenehmen Situationen verursachst und die kalten Blicke der Eltern erntest“.

Einerseits verlangt die Branche, dass man als Rapper der „bad boy“ ist, anderseits hat man auch eine öffentliche Rolle. Wie findest du die Balance dazwischen?
Ich bin das Spiegelbild meiner Fans. Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass der Umfang meiner Fanbase sehr groß geworden ist. Meine Fans teile ich in zwei Gruppen auf – von „zahnlos“ bis „zahnlos“. Diejenigen, die noch keine Zähne haben, wissen schon, wer 100 Kila ist, aber auch die Leute, die keine Zähne mehr haben, kennen mich. Ich will niemanden enttäuschen. Früher hatte ich Lieder, in denen ich mich lustig über Homosexuelle gemacht hatte. Das war aber ein großer Fehler, weil es solche Menschen in meinem engsten Umfeld gibt. Ich bewundere ihre Intelligenz, ihr Verhalten anderen gegenüber, ihre Erziehung, ihre Ethik bei der Kommunikation und vor allem ihre treue Freundschaft. Ja, ich gebe zu, ich habe einige Fehler gemacht, aber es kann sein, dass mir genau das meinen Platz unter den Fans gesichert hat. Jedes Mal, wenn ich einen Fehler mache, gebe ich ihn zu. Dies bringt uns alle näher zusammen und die Leute sagen: „Ja, Bruder, ich mache auch manchmal Fehler“.

Welcher ist dein größter persönlicher Kampf?
Ich kann einfach nicht vergessen, wo ich gestartet bin. Meine größte Angst ist, dass ich wieder auf Sozialhilfe angewiesen sein werde, und deshalb ruhe ich mich keinen einzigen Tag aus. Seit zwölf Jahren hatte ich keinen Urlaub gehabt. Erst vor zwei Jahren habe ich mir zum ersten Mal 15 Tage am Stück freigenommen. Es ist aber gut, wenn jemand mich ab und zu antippt und sagt: „Lass uns mal irgendwo Urlaub machen“.

Du bist sehr ehrgeizig. Würdest du Bulgarien verlassen, um im Ausland zu arbeiten?
Bis jetzt habe ich nicht daran gedacht. Wenn du mich aber fragst, ob ich meinen Ruhestand auf einem Strand im Ausland verbringen möchte, dann „Hell, yeah!“.

Du hast dich entschieden, deinen Schulabschluss nachzuholen. Dieses Jahr bist du Abiturient. Was wirst du nach dem Abschluss machen?
Einen Job habe ich ja schon und werde mir keinen anderen suchen (lacht, Anm. d. Red.). Ich werde mich aber darum kümmern, dass auf meinem Abiball so viel Unheil passiert, dass ab dann kein Schüler mehr einen teueren und verschwederischen Abiball feiern möchte. Die meisten Menschen sehen ja schon, dass diese Abende einfach Geldverschwendung sind. Nur als Beispiel – ein Kiosk kostet 10.000 Lev. Kauf dir dafür lieber einen Kiosk, Bruder, und morgen bist du nicht mehr beim Arbeitsamt. Du wirst schon dein eigenes Geschäft besitzen und du kannst arbeiten. Später findest du Leute, die für dich arbeiten, und dann bist du dein eigener Chef.

Rap und Hip-Hop sind sehr populär in Deutschland. Würdest du gerne mit einem deutschen Interpreter ein Lied produzieren?
Ich habe keine solchen Pläne. Meiner Meinung nach befinden sich die deutschen Rapper Meilen weg von mir. Was ich auf Instagram sehe, ist, dass sie alle einen Maybach besitzen. Das deprimiert mich. Ich habe keine Ahnung, was ich den deutschen Rappern zeigen kann. Okay, ich werde ein paar Ferraris hierhin bringen, aber wenn sie mich im Dorf besuchen, habe ich keinen Maybach, um sie damit nach Warna zu fahren. Hier sprechen wir über Lifestyle.

In deinen Liedern verwendest du deutsche Wörter wie Audi, Autobahn, Achtung, „fünf Polizei von Frankfurt“. Kannst du etwas für unsere deutschen Leser auf Deutsch sagen?
Das passiert, weil ich ein Autofreak bin. Seit meiner Kindheit schaue ich mir Autos auf mobile.de an. Daher kenne ich diese Wörter. An euren deutschen Lesern sage ich einfach: „Guten Abend, Damen und Herren! Danke aus dem Herzen“.

Herzlichen Dank für das Interview!

Produktion: © 2019 ASPEKTA
Text: Ivan Archinkov
Übersetzung: Ana Barzakova und Ivan Archinkov

Fotograf: Vladislav Terziev und Ivan Archinkov

Impressionen

Ivan Arshinkov
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