Brücke zur Freiheit

Bridge to Freedom

2019 feiert Deutschland ein wichtiges Jubiläum. 30 Jahre Mauerfall, 30 Jahre keine Grenze zwischen dem Osten und Westen im Lande mehr. Denn am 9. November 1989 gab Günter Schabowski, damaliger Sekretär des Zentralkomitees für Informationswesen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in der DDR, auf der internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlin die neue Reiseregelung bekannt – die DDR-Grenze ist offen. Ab sofort.
Mit diesem Ereignis veränderte sich vor 30 Jahren nicht nur Deutschland, sondern auch Europa. So folgten auch im Ostblock Massenproteste, Regierungswechsel, der Fall des Eisernen Vorhangs. In Bulgarien inklusive.

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Dr. Andrey Kovatchev, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Partei GERB und stellvertretender Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, als Gast im Lew Kopelew Forum Köln

Im Rahmen der Feierlichkeiten des diesjährigen Jubiläums in Deutschland fand am 14. November die Podiumsdiskussion “Bridge to Freedom” im Lev Kopelew Forum Köln statt. Unter dem Motto “30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen” erinnerte die Abendveranstaltung an die Umbrüche in Bulgarien und Deutschland vor drei Jahrzehnten.

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Ulf Georgiew, Vorsitzender der Deutsch-Bulgarischen Elterninitiative “Jan Bibijan” e.V. (Münster), eröffnet das internationale Forum

Durch den Abend führte Ulf Georgiew, Vorsitzender der Deutsch-Bulgarischen Elterninitiative “Jan Bibijan” e.V. (Münster) und Co-Organisator des Events. Mit der Veranstaltung ist ihm und seiner Ehefrau und Leiterin der Bulgarischen Sonntagsschule “Jan Bibijan” und Gründerin der Initiative Rumiana Georgiew wichtig, dass Bulgarien als ehemaliges Mitglied der UdSSR und eines der Länder hinter dem Eisernen Vorhang die nötige Präsenz bekommt. „Denn Bulgarien wurde bei den Feierlichkeiten oft, auch in diesem Jahr unberücksichtigt und unerwähnt gelassen“, so Georgiew. Wenn überhaupt wurden einzelne Abende wie auch dieser von NGOs mit der Unterstützung deutscher Kulturanstalten organisiert, weiterhin der Veranstalter. In diesem Sinne wünsche er sich dennoch, dass auch bulgarische Politiker und Institutionen solche Events unterstützen.

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Rayna Breuer zeigte an dem Abend ihren Dokumentarfilm “Flucht übers Bruderland – eine Begegnung nach über 30 Jahren”

Zu den Gästen gehörte Rayna Breuer (Bonn/Sofia), die als freie Journalistin tätig ist. Sie zeigte ihren Dokumentarfilm “Flucht übers Bruderland – eine Begegnung nach über 30 Jahren”. In dieser Deutsche-Welle-Produktion erzählt auf der einen Seite der DDR-Bürger Jürgen Cyrulik, wie er im Oktober 1988 im bulgarischen Kurort Sonnenstrand Urlaub gemacht hat und von da aus über die bulgarisch-türkische Grenze in den Westen fliehen wollte. Auf der anderer Seite lernen wir Stoyan Todorov (fiktiver Name, Anm. der Red.), den Grenzsoldaten, kennen, der Jürgen bei seinem Fluchtversuch an der streng bewachten Grenze inhaftiert und somit seine Zukunft verändert hat. Im Film folgt ein neues Treffen zwischen den beiden, genau an der gleichen Stelle der ersten Begegnung, dennoch 31 Jahre später und ohne den Eisernen Vorhang.

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Rossitza Bairaktarski, Leiterin der Bulgarischen Sonntagsschule zum Deutsch-bulgarischen Kulturverein “Az Buki Vedi” e.V. in Köln, stellt den Film von Rayna Breuer vor

“Ein Film über zwei Geschichten, die eine Geschichte geworden sind”, so stellte Rossitza Bairaktarski, Leiterin der Bulgarischen Sonntagsschule zum Deutsch-bulgarischen Kulturverein “Az Buki Vedi” e.V., den Film zu Beginn vor. Auf die Geschichte ist die Regisseurin Rayna Breuer zufällig gekommen – während sie verschiedene Stasi-Akten untersucht hat, ist sie auf den Namen des bulgarischen Grenzsoldaten gestoßen. Alle anderen Namen wurden schwarz gefärbt, was üblich bei den Stasi-Akten ist. So wurde aber ihr Interesse geweckt. Die Arbeit an dieser knapp 30-minütigen Dokumentation hat ihr drei Jahre gekostet. “Zweieinhalb Jahre habe ich für die Recherche gebraucht, ein halbes Jahr dauerten die Dreh- und Postproduktionsarbeiten”, erzählte uns Breuer. Und so zeigt uns der Film eine bewegende Geschichte, die sehr persönlich und dennoch repräsentativ für die repressive Zeit ist.

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Der investigative Journalist Hristo Hristov (Sofia) mit seinem Vortrag “Operative Maßnahmen des Geheimdienstes der DDR und Bulgarien in West-Deutschland (1949 bis 1989)”

Passend zum Thema Überwachung und Repression während des kommunistischen Regimes in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. war auch der Vortrag von Hristo Hristov (Sofia), der am Abend als Ehrengast anwesend war. Seit 25 Jahren arbeitet er als investigativer Journalist, Buchautor und Aktivist. Er ist der Gründer von Enthüllungs-Webseiten wie desebg.com, agentibg.com, pametbg.com und der bulgarischen Stiftung “Wahrheit und Gedächtnis”. Für seine Aufarbeitung der bulgarischen Geschichte hat er 2014 den Bürgerpreis des Europäischen Parlaments erhalten.

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Hristo Hristov in Köln und Rayna Breuer (links), die vom Bulgarischen ins Deutsche übersetzte

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In seinem Vortrag “Operative Maßnahmen des Geheimdienstes der DDR und Bulgarien in West-Deutschland (1949 bis 1989)” gewährte Hristov im Lev Kopelew Forum einen Einblick in die Zusammenarbeit beider Geheimdienste. Rayna Breuer übersetzte ins Deutsche. Laut Hristovs Recherche sei das im Jahr 1967 unterzeichnete Abkommen für die Zusammenarbeit zwischen den bulgarischen und ostdeutschen Staatssicherheitsdiensten das erste Abkommen zwischen zwei Staaten aus dem Ostblock gewesen – erst fünf Jahre später hatte Bulgarien einen ähnlichen Vertrag mit der KGB abgeschlossen. Seit 1974 wurde das Abkommen mit der Stasi dann auch unbefristet. Die Ziele der Kooperation – Propaganda, Desinformation, Spionage bei der Nato, Überwachung und Zerstörung jeglicher Flüchtlingswege über Bulgarien in den Westen, sowie der gemeinsame Kampf gegen die damaligen Hauptfeinde beider Länder – die USA, Großbritannien und die Nachbarstaaten Bulgariens Griechenland und die Türkei. Mit viel Pathos zählte Hristo Hristov die mit langjähriger Recherche gesammelten Fakten aus den Jahrzehnten des kommunistischen Regimes auf. Er sei auch derjenige, der mit der Unterstützung von Dr. Andrey Kovatchev, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Partei GERB, stellvertretendem Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei und ebenso anwesend am Vortragsabend in Köln, dafür gekämpft hat, dass die die Wahrheit über den kommunistischen Regime in die bulgarischen Geschichtsschulbücher zurückgebracht wurde.

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Im Frühjahr 2020 wird das neue Buch von Hristo Hristov erscheinen. Dieses beschäftigt das Thema “Die Gegenbewegung in den 45 Jahren kommunistischer Regime in Bulgarien”. Darin listet auf und beschreibt Hristov stolze elf Arten von Widerstand, mit denen er den Mythos widerlegen möchte, dass Bulgarien der treue, meinungslose Satellit der UdSSR gewesen ist. “Und wenn wir über Opfer des kommunistischen Regimes reden, dann unabhängig von ihrem sozialen Status, Geschlecht und ihren religiösen Einsichten”, so der bulgarische Journalist. “Aus diesem Grund werde ich alles geben,” fügte Hristov hinzu, “dass dieses Buch auf mehreren Sprachen übersetzt und so viele Menschen wie möglich erreichen wird.”

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Bayryam Geta teilt das Erlebte als bulgarischer Muslim während des kommunistischen Regimes mit

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Ulf Georgiew, Bayryam Geta und Rossitza Bairaktarski (von links nach rechts)

Einer der direkten Betroffenen des Regimes wurde auch am Abend eingeladen. Bayryam Geta (Verwaltungsbezirk Blagoevgrad/Gütersloh), damals noch ein Kind gewesen, erzählte im Gespräch mit Ulf Georgiew, wie er und seine Familie als Muslime in den 80er Jahren des 20. Jhs. von der Regierung behandelt wurden. Denn während der kommunistischen Repression wurden alle Arten von Minderheiten diskriminiert und alle Traditionen mit Gewalt unterdrückt. Aus der Zeit stammt auch der Begriff “Die große Exkursion”. Damit ist nichts anderes gemeint als die gewaltvolle Abschiebung von bulgarischen Muslimen in die Türkei. Dass sie seit Generationen in Bulgarien gelebt haben und keine Verwandten mehr im benachbarten Land hatten, blieb unberücksichtigt. Dazu wurde auch die staatliche Kampagne ins Leben gerufen, dass alle Angehörigen dieser Minderheitsgruppe ihren türkischen Namen abgeben mussten und einen bulgarischen bekamen. Denjenigen, die sich geweigert haben, dies zu tun, drohte Inhaftierung und Arbeitslager. “Jeder hatte zwei Namen und somit auch zwei Identitäten. Für uns Kinder war der eine Name für die Familie zu Hause, der andere für die offizielle Ansprache in der Schule,” so Geta. “Wir mussten ständig aufpassen und wurden bestraft, wenn wir aus Versehen den “falschen” türkischen Namen im Schulhof benutzt haben.” Getas Familie musste auch fliehen und einige Zeit in der fremden Türkei verbringen. Bayryam Geta lebt seit 2012 in Deutschland und fährt jeden Samstag seine Kinder in die bulgarische Sonntagsschule im ca. 200 km entfernten Münster.

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Die Organisatoren und die Referenten am Forumabend in Köln

Wir bedanken uns herzliche bei allen Organisatoren des Forums – der Deutsch-Bulgarischen Elterninitiative “Jan Bibijan” e.V. (Münster), dem Deutsch-Bulgarischen Geschichtsverein “Pamet” e.V. (Münster), dem Deutsch-Bulgarischen Kulturverein “AzBukiVedi” e.V., Lew Kopelew Forum e.V. und dem Honorarkonsul von Bulgarien in Nordrhein-Westfalen.

Produktion: © 2019 ASPEKTA
Text: Ana Barzakova
Fotograf: Vladislav Terziev

Ana Barzakova
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