Die bulgarische Verlegerin in Berlin

Petya Lund hat mein Interesse in dem Moment geweckt, indem ich sie bei einer Literaturlesung in Köln kennengelernt habe. Denn Petya hat sich einen vergleichsweise unkonventionellen Beruf ausgesucht. Sie ist gebürtige Bulgarin, lebt aber seit Jahren in Deutschland. Heute ist sie 37 Jahre alt und hat bereits im Jahr 2016 ihren eigenen, unabhängigen Buchverlag, den “eta Verlag”, in Berlin gegründet. Unkonventionell ist auch der Themenbereich des Verlags, denn der liegt zeitgenössischer bulgarischer Literatur – und seit zwei Jahren auch bei der Literatur aus weiteren osteuropäischen Ländern wie Serbien oder Bosnien-Herzegowina. Diese lässt Petya auf Deutsch übersetzen, kunstvoll gestalten und durch ihren Verlag in Deutschland und anderen deutschsprachigen Ländern verbreiten.

Petya Lund, die Gründerin vom „eta Verlag“ in Berlin, beim „Literatursalon“ am 30. November 2019 in Bonn.

Mit “Die Sanftmütigen” des bulgarischen Schriftstellers Angel Igov, übersetzt von Andreas Tretner, wurde in diesem Jahr eines ihrer Bücher für den Preis der Leipziger Buchmesse für die beste Übersetzung nominiert. In Leipzig wäre der “eta Verlag” mit einem eigenen Stand vertreten gewesen – ebenso auf der Frankfurter Buchmesse. Es waren Lesungen und Literaturtreffen in der sächsischen Metropole geplant, wo 2020 der Schwerpunkt der Messe auf Literatur aus Südosteuropa gelegt werden sollte. Bedauerlicherweise wurde die Messe aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. 

Beeindruckt von ihrer Tätigkeit in der Buchbranche, habe ich mich gefragt, was Petya Lund dazu bewogen hat, einen eigenen Verlag zu gründen. Was ist ihre Geschichte?

2002 hat Petya ihr Abitur am Deutschsprachigen Gymnasium in Sofia abgelegt. Nach einem kurzen Aufenthalt in Konstanz, ist sie nach Köln gezogen. Da hat sie auch studiert und 2009 ihr Studium der Theater- Film- und Fernsehwissenschaften an der Uni zu Köln als M.A. erfolgreich abgeschlossen.  Es folgte der Umzug nach Berlin, wo sie heute mit Mann und zwei Kindern lebt.  

Im Interview hat sie uns nun verraten, wie die Verlagsreise für sie begonnen hat und was hinter ihrer Arbeit als Verlegerin steckt. 

Petya, wann hast du dich entschieden, dich mit Literatur zu beschäftigen?
Schon immer habe ich viel und gerne Belletristik gelesen. Im Gymnasium war Literatur mein Leistungsfach. An der Uni hatte ich als Nebenfach Slavistik. Dort entfaltete sich auch meine Leidenschaft für das Übersetzen. Als wir nach Berlin gegangen sind, habe ich als freiberufliche Übersetzerin und Dolmetscherin gearbeitet. So kam es, dass ich für die Leipziger Buchmesse gebucht wurde und zum ersten Mal in Berührung mit der Buchbranche gekommen bin. Ich habe bei Veranstaltungen auf der Messe für bulgarische Autoren gedolmetscht, die wiederum auf der Suche nach Verlagen in Deutschland waren. 

Das Repertoire vom „eta Verlag“. 2020 kommen noch weitere Titel aus Bulgarien und anderen osteuropäischen Ländern dazu.

Entstand so die Idee, einen Verlag für bulgarische und jetzt auch osteuropäische Literatur in Deutschland zu gründen?
Nach gewisser Zeit wurde mir klar, dass die Autoren, die ich kennengelernt habe, keine große Chance haben, einen Verlag zu finden. In Deutschland (und nicht nur) ist Bulgarien nicht wirklich bekannt. Das Interesse daran ist dementsprechend eher gering. Ich habe lange recherchiert und nachgedacht, ob ich nicht selber einen Verlag gründen sollte, um all den Autorinnen und Autoren, die ich gerne lese und für wichtig halte, eine Stimme zu geben. Und da stehen wir ja heute.

Du lebst und arbeitest in Berlin. War der Ort auch entscheidend für die Gründung des Verlags?
Berlin an sich und die unendlichen Möglichkeiten, die man in dieser Stadt hat, haben mich sehr inspiriert. Diesen Verlag, vor allem in seiner Form heute, hätte ich woanders wahrscheinlich nicht gewagt.

Die Verlegerin Petya Lund, die Organisatoren und Besucher des „Literatursalons“ in Bonn.

Was bedeutet eigentlich “eta” im Verlagsnamen?
Das ist ganz einfach – der Verlag sollte klassisch “Lund Verlag” heißen. Der Name war aber schon vergeben. Ich habe ewig nach einem anderen Namen gesucht und nichts Passendes gefunden. Dann habe ich aus meinem Vornamen zwei Buchstaben weggenommen und da war er.

Wie würdest du das Profil des Verlags beschreiben?
Es geht in erster Linie um hochqualitative Texte, die nicht nur exzellent übersetzt werden, sondern auch einen optischen und haptischen Anspruch für Qualität haben. Die meisten Autorinnen und Autoren, die wir verlegen, sind in ihren Heimatländern sehr bekannt. Einige sind mehrfach preisgekrönt, auch international. Die Themen sind vielseitig. Doch fast immer geht es dabei um schwierige und emotionale Fragen, um die Aufarbeitungen von individuellen Geschichten, die dennoch das Universelle abbilden. Ich persönlich halte es für sehr wichtig, durch die Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählen, voneinander und übereinander lernen zu können. 

Wie sollen wir uns den Entstehungsprozess eines Buchs bei deinem Verlag vorstellen?
Hier spielen die Übersetzer eine zentrale Rolle. Diejenigen, die aus so kleinen Sprachen wie Bulgarisch, Serbisch usw. übersetzen, spielen oft die Rolle des Agenten. Das heißt, sie machen Vorschläge und Probeübersetzungen (wenn es nicht um bulgarische Autoren geht) und wir besprechen sie zusammen. Wenn wir eine Entscheidung treffen, muss ich die Verträge vorbereiten, eine/n Lektor/Lektorin finden, der/die idealerweise die Ausgangssprache auch spricht. Während die Übersetzung läuft, wird auch das Layout des Covers und des Buches vorbereitet. Nach dem Lektorat kommt der Satz, danach der Druck und als Letztes der Transport zum Verlag und zu der Verlagsauslieferung. Von dort aus werden die Bestellungen des Buchhandels ausgeliefert. Ich übernehme die Bestellungen von der Webseite und den Verkauf bei Messen, Lesungen und sonstige Veranstaltungen. 

Bei den Titel aus anderen Ländern musst du ein großes Vertrauen in die Übersetzer haben. Wie funktioniert die Zusammenarbeit und wie würdest du das Verhältnis zwischen dem Übersetzer und der Schriftstellerin/dem Schriftsteller beschreiben?
Ja, Vertrauen gehört natürlich dazu. Manchmal passieren auch Missverständnisse und unschöne Situationen, aber auch das gehört zum Arbeiten und zum Leben generell mit dazu. Das Verhältnis ist immer sehr respektvoll, denn den Autoren ist zum Glück klar, was für eine schwierige und wichtige Aufgabe Übersetzer erfüllen. Ohne Übersetzer wäre Literatur kaum denkbar und das ist leider den meisten Menschen nicht bewusst.

Hast du ein festes Team an Mitarbeiter z. B. Übersetzern, Grafikern usw., mit denen du immer wieder arbeitest? Es fällt zum Beispiel auf, dass die letzten Titel, die erschienen sind alle eine ähnliche Gestaltung haben – wie kam es zum Beispiel zu dieser Entscheidung?

Unser Team ist zwar sehr klein, aber dafür richtig gut. Mit den meisten Übersetzern, Lektoren, Designern usw. hat sich eine sehr gute Arbeitsbeziehung entwickelt. Es kommen immer mal neue Leute dazu, aber eher selten, da es auch keine freien Aufgaben gibt, die neu zu verteilen wären. Die ersten fünf Bücher haben verschiedene Künstler gestaltet. Das war aber nicht optimal. Mit der Entscheidung das Verlagsprogramm auf Südosteuropa zu erweitern, kam der richtige Moment, das Design zu verbessern und ein sogenanntes Korporative Design zu etablieren. Dies hat der Berliner Designer Stefan Müssigbrodt konzipiert. Mit ihm arbeite ich oft und sehr gerne zusammen. Ich finde und höre oft auch von anderen, dass uns dieser Schritt sehr gut gelungen ist. 

Greta Gancheva, eine der Gründerin von SaloonY e.V. in Frankfurt am Main, Petya Lund, die Besitzerin vom „eta Verlag“ in Berlin, und Diana Iwanowa, die Organisatorin vom „Literatursalon“ in Bonn (v.l.n.r.)

Hast du ein Lieblingsbuch aus dem Verlagsrepertoire?
Ja, aber das würde ich nie verraten. 

Du leitest den Verlag komplett alleine. Wie lässt sich ein so umfangreiches Projekt finanzieren?
Das erste Jahr habe ich finanziert, ab dem zweiten gab es immer wieder kleine Fördersummen, die sehr hilfreich sind. Ab diesem Jahr gibt es eine etwas größere EU-Finanzierung, die über zwei Jahre einiges einfacher machen wird. 

Du musst bestimmt auf Messen präsent sein, bei verschiedenen Events…
Ja, normalerweise bin ich jedes Jahr in Leipzig im Frühjahr, im Herbst steht die Frankfurter Buchmesse und kurz vor Weihnachten in Wien. Einmal war ich sogar auf der Buchmesse in Sofia, als der Fokus deutschsprachige Literatur war. (Die 46. Internationale Buchmesse Sofia hatte vom 11.-16. Dezember 2018 die deutschsprachige Literatur im Mittelpunkt, Anm.d.Red.)

Kannst du uns schon kommende Titel verraten – oder zumindest die zukünftige Richtung, die du mit „eta Verlag“ einschlagen möchtest?
Ja, das ist kein Geheimnis. Es erwarten uns acht Titel, drei aus Bulgarien, zwei aus Serbien, zwei aus Bosnien-Herzegowina und ein Titel aus Kroatien. Es sind überwiegend Romane und Kurzgeschichten, aber Poesie muss immer mal wieder dabei sein, selbst wenn es ein einziges Buch sein wird. Diesmal ist es „Der verpasste Moment“ von Yordanka Beleva aus Bulgarien. 

Du bist bei vielen verschiedenen Projekten tätig. Bei welchen kann man Petya Lund noch treffen?
Auch in diesem Jahr werden wir in Berlin “Cyrillic Sounds” im Mai* organisieren. Das ist eine Veranstaltungsreihe, die dem Kyrillischen Alphabet gewidmet ist, nur drehen wir den Spieß  aber um. Nicht ausschließlich für Bulgaren, sondern viel mehr für alle anderen. Es wird unsere dritte Ausgabe sein. Wie die Jahre zuvor auch mit Musik, Literatur und Kino. Unser Team besteht aus fünf Personen, alle Bulgaren, die in Berlin leben und im wahrsten Sinne der Wortes mit Buchstaben arbeiten. Botio Nikolchev ist Typograf, also jemand, der Schriften entwickelt. Ich mache Bücher, die auch hauptsächlich aus Buchstaben bestehen. Vera Trajanova schreibt Drehbücher für Filme. Asya Racheva ist seit acht Jahren ein Teil von “Days of Bulgarian Documentary Cinema in Berlin – BULDOC” und Valeriya Tzvetkova studiert Publizistik.
Ansonsten bin ich nach wie vor im Verein „Bulgarische Sprache und Kultur in Berlin e.V.“ aktiv. Das ist ein Verein, der unter anderem Bulgarisch-Unterricht für Kinder anbietet. Jeden Samstag gehe ich mit meinen Kindern dahin und bin Teil vom Orga-Team.

© Cyrillic Sounds, Berlin

* “Cyrillic Sounds – The Balkan Culture Sessions” ist eine Veranstaltungsreihe, die den 24. Mai, den Tag des Kyrillischen Alphabets sowie der bulgarischen Sprache und Kultur, feiert. 2020 findet sie am 23. und 24. Mai statt. Aufgrund der aktuellen Situation sind die Lesungen, Konzerte und Filmvorführungen in diesem Jahr komplett als digitale Edition aufgebaut. Sie werden an beiden Tagen als Videobeiträge in Facebook, Instagram und YouTube veröffentlicht. Sie sind für alle Zuschauer komplett kostenfrei und bleiben 72 Stunden online. Alle Videos findet ihr unter www.facebook.com/CyrillicSounds.

Produktion: © 2020 ASPEKTA
Text und Fotos: Ana Barzakova

Ana Barzakova
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