Kosta und sein Balkan Express

Kosta Kostov ist ein Tausendsassa. Geboren in Varna, der Meereshauptstadt Bulgariens, lebt Kosta seit September 1994 in Deutschland. “Seitdem bin ich immer in Köln gewesen. Eine Ausnahme waren nur meine Aufenthalte in Spanien, Brasilien, Kolumbien, oder als ich rumgereist bin. Köln ist immer mein Hauptpunkt gewesen”, erzählte er uns. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Magisterabschluss in Geschichte, Mittelalter- und Antike Geschichte und Germanistik an der Uni zu Köln ist Kosta heute DJ, Musikproduzent, Radiomoderator (u.a. beim Radiosender Cosmo) und Koch. 

Kosta Kostov am DJ-Pult im Kölner Club Gebäude 9 (Foto: BASH Photography)

Im Jahr 2019 feierte eines seiner Projektbabies – die Clubparty “Balkan Express” – den 15ten Geburtstag. Die Jubiläumsparty fand am 2. November im Kölner Club Gebäude 9 statt, dem Club, in dem “Balkan Express” von Anfang an geschehen ist. 

Zu diesem Anlass trafen wir Kosta und sprachen mit ihm über die Entwicklung der Party und der Balkan-Musikszene überhaupt.

Kosta, wie hat alles vor 15 Jahren angefangen?
“Balkan Express” wurde vor allem mit sehr viel Enthusiasmus gestartet, ohne dass ich überhaupt wusste, was und wie ich es machen sollte. Die Idee dafür entwickelte sich sehr schnell als Antwort auf die Roma-Welle, die mit den Filmen von Emir Kusturica und der Musik von Goran Bregovic entstanden ist. Filme wie “Arizona Dream”, “Underground” oder “Black Cat, White Cat” haben dazu gebracht, dass man die Kultur und die Musik aus dem Balkangebiet, sprich von allem, was auch ich in Bulgarien erlebt hatte, neu entdeckt und liebgewonnen hat.

Mit “Balkan Express” kam ein schöner Rhythmus, eine Melodie, die sehr romantisch und emotional klingt. Die Musik und ihre Gefühle begeisterten die Menschen.

Das war die Grundlage und die Grundidee, die nur darauf gewartet hat, geweckt zu werden. Die Tatsache, dass ich hier in Deutschland lebe und dadurch von meinen Wurzeln getrennt bin, brachte mich dazu, über diese nachzudenken und diese aus einer anderen Perspektive neu wertzuschätzen. Und so, nachdem ich dem richtigen Menschen begegnet bin – dem damaligen Betreiber vom Gebäude 9 Thomas Krutmann, war das Konzept nach zwei oder drei Gesprächen eingetütet und es wurde entschieden, dass die neue Partyreihe “Balkan Express” im April 2004 anfangen soll.

Erinnerst du dich an die allererste Party?
Sie war am 16. April. An diesem Tag war ich um 7 Uhr früh noch in Sofia und hatte vor, zurück nach Köln zu fliegen. Unser Flugzeug startete aber weder um 9, noch um 12 oder um 17 Uhr, sondern erst um 19 Uhr! Mit zehn Stunden Verspätung. Das war ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Darüber hinaus landeten wir nicht am Flughafen Köln/Bonn, sondern in Weeze. (ca. 115 km von Köln entfernt, Anm. der Red.) Von da aus wurden wir mit Bussen in die Stadt transportiert und so haben alle im Flugzeug und im Bus erfahren, dass ich gleich meine erste Party haben würde. In diesem Sinne war der Anfang unvergesslich cool.

Die Party hat so zu sagen bereits im Bus angefangen…
Genau, nach der Busfahrt bin ich schnell nach Hause gegangen, habe mir die Tasche mit meinen Platten und CDs geschnappt und ab in den Club!

Kosta am DJ-Pult (Foto: BASH Photography)

Warst du als DJ alleine am Pult?
Die ersten eineinhalb Jahre habe ich bei jeder einzelnen Party, damals einmal im Monat, alleine aufgelegt. Das waren sechs-siebenstündige Sets.

Wie war die Party wahrgenommen? Du hast bulgarische und Balkan-Wurzeln, aber wie haben die Deutschen und vor allem die Kölner auf die Musik reagiert?
Die Party wurde mit offenen Armen empfangen. Ich wurde geschockt im positiven Sinne des Wortes, wie verrückt alle danach waren. Hier muss ich aber eine Klammer öffnen – dieser Fakt ist nicht sehr bekannt, da die Menschen in Klischees denken, wenn es darum geht, wie z.B. die Briten oder die Deutschen als Menschen sind. Für mich ist der Deutsche eine neugierige Person. Vor allem die Kölner waren und sind immer noch ein sehr dankbares Publikum, denn alles, was neu und worin eine gute Idee und Liebe steckt, berührt ihre Herzen. Hier sind die Leute offen für neue Sachen, vielleicht weil ihnen eine Art nationale Identität fehlt. So kam mit “Balkan Express” ein schöner Rhythmus, eine Melodie, die sehr romantisch und emotional klingt, ein Pathos. Es war nicht nötig, die Texte zu übersetzen. Die Musik und die Gefühle darin haben die Menschen begeistert. Das war meiner Meinung nach der erste Funken, der “Balkan Express” zum Brennen gebracht hat.  

Hat sich die Party durch die Jahre verändert? Musstest du dich als DJ an neue Trends anpassen?
“Balkan Express” hat sich viele Male geändert, mit fast jeder neuen Ausgabe. Aber das war auch meine Intention von Anfang an. Ich wollte nicht eine Balkan-Party wie diese machen, die es zwischen 2002 und 2010 in fast jeder deutschen Stadt gab. Nicht zu erwähnen die Parties auch in Frankreich und Spanien, wo der Balkan-Boom enorm war. Damals gab es eine Art Angleichung – die Balkan-Musik oder die Balkan-Beat-Welle, die durch Bregovic, Shantel, Piranha Records und die Kompilationen “Balkan Beats” von Robert Soko entstanden sind, bewegten sich nur in eine Richtung und stellten nur eine Seite der musikalischen Balkan-Tendenzen dar. Und so ist diese Bewegung nach ca. zehn Jahren komplett stagniert. Die produzierte Musik war nicht genug, um sich dynamischer und in verschiedenen Richtungen zu entwickeln und neue Parties mit z.B. Balkan-Rock-, Balkan-HipHop- oder gar Balkan-Techno-Parties zu starten. Alle Parties lieferten einen eher akustischen, organischen Klang der Balkan-Musik, in der Regel der Roma-Musik. Darüber hinaus ist nichts Weiteres oder Außergewöhnliches passiert. 

Kosta beim Geburtstag von „Balkan Express“ 2018

Was war der Unterschied zwischen “Balkan Express” und diesen anderen Parties?
Von Beginn an war mein Wunsch, dass bei “Balkan Express” nicht nur Roma-Balkan-Musik läuft, sondern auch Musik, die einen viel breiteren Kontext abdeckt und mit vielen anderen musikalischen Rhythmus- und Tanztendenzen sowohl aus dem Balkan, wie auch aus anderen orientalischen, gar westlichen Ländern in Verbindung gebracht ist. Wenn man nur den Wanderweg der Roma und Sinti von Indien nach Spanien verfolgt, entdeckt man so viele tolle Musiktraditionen und -erscheinungen, die in Kombination mit etwas elektronisch klingenden Rhythmen ein wertvoller Fundus für “Balkan Express”  sind.

Wie war der 15te Geburtstag?
Die Party verlief wie ein echter, wunderschöner Geburtstag. Die Leute kamen bereits früh an, trugen ihre schönsten Klamotten und ihre bequemsten Tanzschuhe. (lacht, Anm. der Red.) Grinsend bis über beide Ohren. Meine Familie, so nennen ich sie – Kompott Kollektiv, das ist eine andere Partyreihe, war auch dabei. Sie sind Russen, spiele aber ebenso Balkan-Musik. Sie haben ein Jahr vor mir angefangen und jedes Mal, wenn ich feiere, sind sie auch am Start. Diesmal kamen sie um 0 Uhr mit einem Geburtstagskuchen mit Kerzen zu mir am DJ-Pult hoch. Es war ein glamouröses, sehr emotionales Erlebnis für mich. Mein Gast war DJ Click, vielleicht der Mensch, mit dem ich am längsten und mit größtem Vergnügen zusammen arbeite. Er ist Franzose, lebt aber zwischen Paris und Spanien, wo auch sein Studio ist. Er ist eine Legende, ein Mastodon der Balkan-Rhythmen, egal ob elektronisch oder nicht, und einer der ersten, die angefangen haben, mit Folkloremusikern zu arbeiten und ihre Musik in einen Elektro-Kontext zu setzen.

Zum 15. Jubiläum gab es Kuchen mit Geburtstagskerzen für den stolzen Gründer von „Balkan Express“

“Balkan Express” ist eines deiner Projektbabies. Als ob du heute ein 15-jähriges Kind hast. Du hast ja bereits einen Teenager großgezogen.
Absolut! Aber ja, wir hatten auch Schwierigkeiten beim Großziehen meines Sohnes oder meiner Tochter. (lacht, Anm. der Red.) Beim ca. achten oder neunten Jahr habe ich eine Tendenz bemerkt, die meiner Meinung nach bei allen Parties vorkommt – jede Clubparty funktioniert super, solange sie ein seriöses, treues Publikum, das zu jedem Event kommt, hat. Eine monatliche Party zu veranstalten, ist für den DJ sehr viel Arbeit, aber auch eine Beschäftigung für das Publikum. Nach all den Jahren ist diese Generation dennoch älter geworden, die Leute haben Kinder gekriegt, haben keine Lust mehr wegzugehen… Man rollt weiter als DJ, aber wohin? Die Party geht zugrunde… So war es zwischen dem neunten und dem zwölften-dreizehnten Jahr ziemlich schwierig, damals hatte ich sogar überlegt, komplett aufzuhören. Aber jedes Mal sagte ich zu mir “Noch ein letztes Mal”… Dann habe ich gespürt, dass sich eine neue Fangeneration gebildet hat.

Also, dein Kind hatte auch schwierige Zeiten gehabt?
Ja… aber das ist sein Charakter. (lacht, Anm. der Red.) Es ist genauso emotional wie die Musik.

Wie sollen wir uns deinen Alltag als DJ vorstellen? Du hörst bestimmt ununterbrochen Musik. Im Internet findet man heutzutage so viel…
Das stimmt, heute gibt es im Internet eine enorme Menge an Musik. Vor 2009-2010 und vor der schnellen Internet-Verbindung hat man sich mit jeder einzelnen Platte und jeder CD sehr ausführlich beschäftigt. Jeder Tracks wurde in Tönchen auseinandergenommen… Heute konzentriere ich mich hauptsächlich auf die Sachen, die mich interessieren, und verfolge bestimmte Musikbereiche und -nischen. Das, was für meinen Set für “Balkan Express” relevant ist, sammle ich bereits seit Jahren. Und das, was ich gesammelt habe, habe ich auch produziert, denn ich mache auch selber Musik, Remixes usw.

2007 haben wir die erste Balkan-Party in Rio de Janeiro gestartet. Seitdem “balkanisieren” wir auch Brasilien sehr erfolgreich.

Es ist nicht obligatorisch, dass ich jeden Tag stundenlang Musik höre, aber wenn etwas Neues rauskommt, checke ich noch den Produzenten, das Plattenlabel. Von da aus läuft es nach dem Schneeballprinzip – ich schaue mir ihre Follower, ähnliche Künstler, Musiker, DJs, Produzenten… Ich schau mir ihre Arbeit an und suche eventuell nach ähnlichen Verlinkungen.

Einerseits überfordert es einen, wenn es so viel gibt, andererseits ist es eine große Hilfe…
Das stimmt, man kann sich in der Suche verlieren. Aber am Ende habe ich das Gefühl, dass ich immer noch nach den passenden fünf-sechs Tracks für den nächsten “Balkan Express” suche, sogar wenn es so viel Musik im Internet gibt. Denn wie gesagt, heute produziert man nicht mehr so viel Balkan-Musik, die elektronisch klingt und zum Tanzen im Club geeignet ist. Es gibt nur eine Handvoll an Produzenten.

Wo befinden sich diese?
In Westeuropa, hier ist die größte Konzentration. Hir begann auch der Balkan-Beats-Boom. Das ist auch ein westeuropäischer Begriff, der mit der Welle von Kusturica, Bregovic, Shantel usw. entstanden ist. Mit der Zeit hat sich die Balkan-Welle auch in Lateinamerika ausgebreitet, wo es heute noch ein treues Publikum gibt. 2007 haben wir die erste Balkan-Party in Rio de Janeiro gestartet, wo ich nicht nur bei der ersten, sondern auch bei den nächsten drei Ausgaben gewesen bin. Seitdem “balkanisieren” wir auch Brasilien sehr erfolgreich. In den USA gab es auch einen großen Boom, der aber heute fast verschwunden ist. Aber so ist es – manche Sachen passieren sehr schnell, bilden ein großes Feuer und verbrennen dennoch sehr schnell. Balkan Beats befinden sich meiner Meinung nach in so einer Phase – nach dem großen Erfolg kommt jetzt eine ruhige Periode. Ich weiß nicht genau, wohin sich alles entwickelt.

„Balkan Express“ im Gebäude 9, Köln

Wie entwickelt sich diese Musikrichtung in Bulgarien?
Die Party “Balkan Express” dort zu machen, wie wir sie hier kennen, war eine sehr schwierige Aufgabe für mich. Von allen Ländern, in denen ich aufgelegt habe, habe ich in Bulgarien am spätestens angefangen. Da wird man sofort in die “Chalga”-Schublade gesteckt und man kann nichts mehr dagegen tun. (“Chalga” ist eine sehr bekannte Pop-Musikrichtung in Bulgarien. Die Lieder sind mit orientalisch klingender Musik unterlegt und haben sehr primitive, oft vulgäre Texte über Liebe, Sex, Geld, teuere Markenprodukte usw.; vom Niveau der Fans vergleichbar mit der Ballermann-Welle in Deutschland, Anm. der Red.) Das, was die großen Musikproduzenten und -labels hier in Westeuropa veröffentlicht haben, ist vor allem Roma-Balkan-Musik. Viele Bulgaren mit einer eher nationalistisch orientierten Denkweise fühlen sich dadurch angegriffen. Andere sind natürlich gegen diese Meinung, der dritten Gruppe ist alles egal. Das sind aber alles Menschen, die ihre Meinung äußern wollen. Vielleicht bereitete mir das die größten Schwierigkeiten im Lande. In Deutschland hören dir die Menschen zuerst zu. Sogar wenn sie mehr wissen, lassen sie dich, deine Idee realisieren, und erst später sagen sie dir, was sie davon halten.

Seit vier-fünf Jahren kann ich mich aber nicht mehr beklagen – ich habe bei sehr guten Festivals, Events und in tollen Clubs aufgelegt und wurde wegen meiner Musik dahin eingeladen. Ich bin sehr glücklich darüber. Einmal habe ich am Silvester im Club Mixtape 5 in Sofia Musik gespielt, zweimal war ich beim Festival Beglika, manchmal lege ich in Varna, meinem Geburtsort, auf. Ich habe das Gefühl, dass sich in Bulgarien einiges getan hat und dass sich immer mehr Leute für diese Art elektronisch klingende Balkan-Musik interessieren. Ich finde, das ist eine sehr schöne Partymusik.

Kosta und Ana von ASPEKTA im Gespräch

Hast du eine verrückte Geschichte, die bei einer der Parties vorgekommen ist?
Zu Beginn gab es viele äußerst seltsame Situationen, in denen ich knallhart sein musste. Wie bereits erwähnt, habe ich immer versucht, mich vom Begriff “Balkan-Party” zu entfernen. In meinem Bemühen, die Balkan-Musik in einem breiteren Kontext vorzustellen, habe ich mir erlaubt, auch Musik z.B. aus Nordafrika, Maghreb oder Indien aufzulegen. Aber es gab Gäste, die mich als Polizisten überwachten. Sobald solche Lieder gelaufen sind, kamen sie zu mir, packten mich manchmal sogar am Arm und fragten “Wann kommt die Balkan-Musik? Ich bin hier für die Balkan-Musik!” Zuerst war ich geschockt, aber später habe ich festgestellt, solche Personen sind entweder total ungeduldig, oder schlecht erzogen, oder haben an dem Abend einfach nicht genug Alkohol getrunken. Ich versuchte, sie auf ein Getränk einzuladen. Wenn es nicht funktionierte, probierte ich, ihnen meine Sicht zu erklären, und falls das auch nichts bewirkte, brachte ich sie zur Tür, gab ihnen ihr Eintrittsgeld zurück und verabschiedete mich von ihnen. Offensichtlich war das nicht die richtige Party für sie. Denn der Musikstil von “Balkan Express” ist der Stil, den ich als DJ ausgewählt habe.

“Balkan Express” war immer ein Ort, wo die Leute mit einem Lächeln im Gesicht hingekommen und mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause gegangen sind.

Das waren aber Einzelfälle, ganz zu Beginn der Partyreihe. Damals kam auch eine Welle von Balkan-Leute – es kamen Bosnier, die dachten, das sei eine bosnische Party in Köln gewesen, es kamen Kroaten, die eine kroatische Folkloreparty erwartet haben, es kamen Bulgaren, die eine Chalga-Party wollten… All diese Missverständnisse mussten bekämpft werden, aber es war nichts, das die gute Laune ruinieren oder zu Streitereien führen konnte. “Balkan Express” war immer ein Ort, wo die Leute mit einem Lächeln im Gesicht hingekommen und mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause gegangen sind.

Herzlichen Dank fürs Interview!

Die nächste Party “Balkan Express” wird am 15. Februar 2020 im Gebäude 9 stattfinden. Weitere Infos unter www.gebaeude9.de.

Produktion: © 2019 ASPEKTA
Text: Ana Barzakova
Fotograf: Kosta Kostov (Eigenarchiv)

Ana Barzakova
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